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„Demokratie fällt nicht vom Himmel“ Interview der Evangelischen Zeitung mit Karl-Georg Ohse

06.11.2014 | Schwerin. Das Projekt „Kirche stärkt Demokratie” bietet Fortbildungen zum Umgang mit Rechtsextremismus an: für Haupt- und Ehrenamtliche in evangelischen und katholischen Gemeinden Mecklenburg-Vorpommerns. Beratungen und Supervision vor Ort gehören zum Angebot, das sich auch an Kirchen- und Pfarrgemeinderäte sowie Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen wendet. Ein Gespräch mit Projektleiter Karl-Georg Ohse.

Evangelische Zeitung: Wer nimmt Ihre Angebote wahr, wer kommt zu den Fortbildungen?

Karl-Georg Ohse: Meist sind es engagierte Gemeindemitglieder oder Synodale. Und die fragen sich: Wie bekomme ich meinen Pastor oder den Kirchengemeinderat dazu, sich gegen Rechtsextremismus einzusetzen und so für eine demokratische Gesellschaft stark zu machen?

Evangelische Zeitung: Engagieren sich Ihrer Ansicht nach genug Pastoren und Gemeinden gegen rechts?

Es gibt einzelne Pastorinnen und Pastoren, die sich sehr engagieren. Aber viele halten sich eher zurück – mit dem Argument: „Das ist nicht unsere Aufgabe, sondern die des Staates.” Die meisten haben schlicht und einfach Angst, zum Beispiel wenn es darum geht, bei Gegenaktionen zu einer NPD-Demonstration öffentlich Stellung zu beziehen.

Evangelische Zeitung: Was kann man gegen diese Angst tun?

Grundsätzlich ist erst einmal wichtig, sich einzugestehen, dass man Angst hat und deswegen nicht handelt. Im nächsten Schritt sollte man sich kompetente Partner aus anderen gesellschaftlichen Bereichen suchen: die Polizei. Ansprechpartner aus den mobilen Beratungsteams. Leute, die auf seiten der Opfer rechtsextremistischer Hetze und Übergriffe stehen. Gerade auf Dörfern sind solche Netzwerke wichtig.

Evangelische Zeitung: Wie können Gemeinden konkret gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus vorgehen?

Eine Möglichkeit a, sich auf kommunalpolitischer Ebene  einzubringen. Zum Beispiel, wenn es um Flüchtlinge geht. Gemeinden können Solidaritätsgruppen gründen. Es gibt einen Fall, in dem Konfirmanden Flüchtlingen Deutschunterricht geben.

Evangelische Zeitung: Welche Rolle spielt Rechtsextremismus bei Jugendlichen, die am Konfirmandenunterricht teilnehmen?

In Mecklenburg-Vorpommern ist das Thema natürlich relevant – allerdings weniger, weil die Konfirmanden selbst rechtsextrem eingestellt sind. Das kommt eher selten vor. Aber fast alle werden in ihrem Umfeld mit Rechtsextremismus konfrontiert: in der Schule oder in ihrem Dorf.

Evangelische Zeitung: Und die extrem rechten Jugendlichen kommen nicht zum Konfirmandenunterricht?

Die Mehrheit der rechten Szene ist neo-heidnisch ausgerichtet: Diese Jugendlichen haben kaum Bezug zur Kirche – auch viele Eltern nicht. Aufgrund der DDR-Zeit ist hier sozusagen ein Vakuum entstanden. Es gibt unter dieser Jugendlichen eher den Trend, sich innerhalb pfadfinder-ähnlicher Strukturen zu organisieren.

Evangelische Zeitung: Wie präsentieren sich Neonazis nach außen: Sind sie eindeutig durch Kleidung, Musik und kulturelle Codes erkennbar?

Die jungen Neonazis treten nicht mehr als brutale Skinheads in Springerstiefeln auf. Auch die Musik lässt sich nicht mehr so klar zuordnen wie vor zehn oder zwanzig Jahren. Das hat sich ausdifferenziert, die Szene ist sehr gemischt:     Heavy Metal, Hip-Hop, Liedermacher – alles ist dabei. Und äußerlich kann man rechtsextrem eingestellte Jugendliche manchmal kaum von Links-Autonomen unterscheiden.

Evangelische Zeitung: Welche präventiven Strategien lassen sich im Rahmen kirchlicher Jugendarbeit entwickeln, um Jugendliche zu schützen und zu verhindern, dass sie sich rechtsextremen Gruppen anschließen?

Wichtig für Jugendliche ist, sich selbst verorten zu können. Anstatt sie vor einer rechtsextremen Haltung zu warnen, würde ich darauf setzen, ihr demokratisch-christliches Selbstbewusstsein zu stärken. Und mit ihnen Fragen zu erarbeiten wie: „Warum sind Menschenrechte wichtig? Was ist meine Vorstellung vom Leben in einer demokratischen Gesellschaft? Was halte ich von Menschen, die gegen Andersgläubige oder Familien mit Migrationsgeschichte agitieren?” Eine andere Möglichkeit, die Jugendlichen zu sensibilisieren sind lokale Geschichtsprojekte. Dabei können sie etwa in der Dorfchronik recherchieren, was aus den jüdischen Menschen geworden ist, die vor 1945 in ihrem Heimatort gelebt haben.

Evangelische Zeitung: Und wie ist es, wenn die Jugendlichen doch rechte Einstellungen äußern – sei es im Konfirmandenunterricht oder während einer Freizeit?

Es ist wichtig, jeden Jugendlichen als Person anzunehmen. Und sich anzuhören, welche Fragen er oder sie hat. Nur so ist ja möglich, einen Zugang zu den jungen Menschen finden. Manchmal kommen Kinder aus Kaderfamilien – die oft in sogenannten „rein deutschen Dörfern” leben – mit Kirche in Berührung: Auch Schulen und Kindergärten sind damit konfrontiert. Wichtig ist, diese Kinder nicht auszugrenzen, sondern ihnen anhand unserer Werte und Zuwendung Alternativen anzubieten.
Info

Im Januar 2015 startet der zweite Durchgang der Fortbildungsreihe „Kirche kann Demokratie“. Informationen im Netz: www.teo-kist.de/termine_anmeldung/